Udo Leuschner / Geschichte der FDP (2)

1. Bundestag 1949 - 1953


Schwarz-weiß-rot mit braunen Flecken

Die FDP muß erkennen, daß es rechts von der CDU/CSU nicht viel zu holen gibt

Im ersten Bundestag von 1949 bis 1953 spielte die FDP die Rolle einer schwarz-weiß-rot gefärbten Rechtspartei, die teilweise sogar vom Ungeist des Nationalsozialismus angekränkelt schien. In den wesentlichen Fragen der Innen- und Außenpolitik stimmte sie mit dem Koalitionspartner CDU/CSU überein. Vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs unterstützte sie wie diese die Wiederaufrüstung und Westintegration der Bundesrepublik. Beide verband auch der schroffe Gegensatz zur oppositionellen SPD unter Kurt Schumacher. Unterschiede zur Union gab es vor allem in Fragen der Schul-, Wirtschafts-, Sozial- und Deutschlandpolitik. Während die Unionsparteien die Klerikalisierung des Staates betrieben, empfahl sich die FDP den Wählern als laizistische Partei, die beispielsweise die Einführung von Konfessionsschulen ablehnte. Ferner profilierte sich die FDP als kompromißlose Vertreterin von Kapital- und Eigentumsinteressen, während die CDU damals noch vom "Ahlener Programm" geprägt war, das zumindest verbal einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Marxismus propagierte.

Nicht zuletzt zeigte sich die FDP offener für gesamtdeutsche Kontakte und Fragen der Deutschlandpolitik. Jedem Einsichtigen war damals klar, daß die politische und militärische Integration der Bundesrepublik in den Westen mit dem Ziel einer friedlichen Wiedervereinigung auf lange Sicht unvereinbar war. Sie mußte vielmehr zur Zementierung der beiden deutschen Staatsgebilde führen, die vorläufig noch unter Kuratel der Besatzungsmächte standen. Die SPD unter Kurt Schumacher lehnte deshalb die Remilitarisierung und Westintegration ab, während die Unionsparteien unter Konrad Adenauer diesen Widerspruch einfach leugneten und mit gesamtdeutschen Lippenbekenntnissen übertünchten. Als die Sowjetunion im März 1952 die Wiedervereinigung Deutschlands für den Preis der Neutralität anbot, wurde dieser Vorschlag nicht einmal ernsthaft geprüft, obwohl die Österreicher unter ganz ähnlich gearteten Verhältnissen drei Jahr später tatsächlich ihre nationale Einheit und Souveränität wiedererlangen konnten. - Die FDP trug diese Widersprüche von Adenauers Deutschlandpolitik grundsätzlich mit. Zugleich umwarb sie aber solche Wähler, die sich noch immer mehr im alten Nationalstaat als im neu entdeckten "christlichen Abendland" zuhause fühlten. Zum Beispiel stimmte sie 1952 dem EVG-Vertrag zu, der die neu aufzustellenden westdeutschen Streitkräfte vollständig in eine "Europäische Verteidigungsgemeinschaft" integrieren wollte. Zugleich erwirkte sie aber die Streichung einer Klausel, die auch ein wiedervereinigtes Deutschland an den EVG-Vertrag gebunden hätte.

Fraktionsgemeinschaft mit der DP

Im ersten Bundestag verfügte die CDU/CSU mit 139 Sitzen nur über einen geringen Vorsprung vor der SPD mit 131 Sitzen. Die erste Bundesregierung unter Konrad Adenauer stützte sich deshalb auf eine Koalition mit FDP und Deutsche Partei (DP), die über 52 bzw. 17 Mandate im Bundestag verfügten. FDP und DP waren politisch verwandte Parteien, die auch eine gemeinsame Fraktion bildeten. Untereinander unterschieden sie sich vor allem dadurch, daß es in der mehrheitlich rechts angesiedelten FDP immer noch liberale Residuen gab, während die DP durchweg eine schwarz-weiß-rote Färbung hatte. Anders als bei der FDP beschränkte sich die Anhängerschaft der DP im wesentlichen auf Niedersachsen und Norddeutschland.

Ende 1949 beantragte die SPD im Bundestag die Aufhebung der Immunität des DP-Abgeordneten Wolfgang Hedler, weil dieser erklärt hatte: "Man kann offenkundig geteilter Ansicht darüber sein, ob die Gaskammern das geeignete Mittel waren, um sich der Juden zu entledigen. Vielleicht hatte es noch andere Möglichkeiten gegeben, um diesen Zweck zu erreichen." - Die Affäre war typisch für die Fortdauer und das Wiederaufleben nazistischen Ungeistes bis in die Reihen der Regierungsparteien. Dem Antrag wurde immerhin stattgegeben und der DP-Abgeordnete erhielt neun Monate Gefängnis.

Gegen die Entnazifizierung - für die Freilassung von Kriegsverbrechern

Ansonsten galt es aber als normal, daß ehemalige Mitglieder und Funktionsträger der NSDAP im Staatsapparat der Bundesrepublik wieder tätig wurden und sogar leitende Stellungen einnehmen konnten. Die Spaltung des deutschen Volkes in Gerechte und Ungerechte müsse endlich aufhören, erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer, als er auf den hohen Anteil ehemaliger "Parteigenossen" im Auswärtigen Amt angesprochen wurde. Auch könne man nicht auf Beamte verzichten, die bereits gewisse Erfahrungen im auswärtigen Dienst hätten.

Bei wohlwollender Auslegung klang das wie ein Aufruf zur Versöhnung mit der braunen Vergangenheit. Die FDP war da eine Spur deutlicher: Bei ihr klang alles eher wie die Forderung nach Rehabilitierung. So verlangte sie auf ihrem Bundesparteitag im September 1951 in München die Freilassung aller "sogenannten Kriegsverbrecher" und begrüßte die kurz zuvor erfolgte Gründung eines "Verbands Deutscher Soldaten" aus ehemaligen Wehrmachts- und SS-Angehörigen.

Die Entnazifizierung war der FDP ein besonderer Dorn im Auge. Sie konnte sich nicht einmal mit einer wesentlichen Milderung des bisherigen Entnazifizierungsverfahrens anfreunden, als der Bundestag Ende 1950 mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD-Opposition einen entsprechenden Antrag beschloß. Die FDP stimmte mit der DP und der neonazistischen DRP dagegen.

Auf Konfrontationskurs zu den Gewerkschaften

Die FDP habe weder mit Freiheit noch mit Demokratie das Geringste zu tun, kritisierte der bayerische DGB-Vorsitzende Max Wönner im Oktober 1951. Sie stelle nichts anderes als eine deutschnationale Scharfmacherpartei dar, die in "edlem Wettstreit" mit der neonazistischen SRP stehe.

Der fränkische FDP-Matador und Bundesjustizminister Thomas Dehler geriet wegen dieser Kritik so in Rage, daß er seinerseits über die Gewerkschaften herzog und ihnen "marxistische Wahnideen" vorwarf. Sie huldigten noch immer den "alten Ladenhütern von der Sozialisierung, von der Bedarfsdeckungswirtschaft, von der Wirtschaftsdemokratie, vom Mitbestimmungsrecht, von der Vollbeschäftigungspolitik".

Damit ging Dehler als Mitglied der Bundesregierung allerdings zu weit. In einer neuen Fassung seiner Rede begnügte er sich mit der Forderung an die Gewerkschaften, sie sollten sich um die unmittelbaren Interessen ihrer Mitglieder kümmern und nicht in allgemeinpolitische Fragen einmischen. Aber das Porzellan war schon zerschlagen: Der Bundesvorstand des DGB beschloß, die Zusammenarbeit mit der Regierung Adenauer einzustellen.

Reinhold Maier tanzt aus der Reihe und wird vom Bundesvorstand kritisiert

Eine der Ausnahmen in der braun gesprenkelten FDP-Landschaft bildete die schwäbische FDP/DVP, die in Stuttgart mit Reinhold Maier den ersten und einzigen FDP-Ministerpräsidenten der Bundesrepublik stellte. Im Frühjahr 1952 erfolgte der Zusammenschluß der Länder Württemberg-Baden, Südbaden, und Württemberg-Hohenzollern zum neuen Bundesland Baden-Württemberg. Reinhold Maier gelang es, eine Koalition mit SPD und BHE zu bilden, so daß er am 25. April 1952 auch Ministerpräsident des neuen Südweststaates wurde. Die CDU war darüber so erbost, daß sie vor der Abstimmung aus der verfassunggebenden Landesversammlung auszog. Sie glaubte als stärkste Partei ein Anrecht auf die Regierungsbildung zu haben und sah demokratische Spielregeln verletzt.

Aber auch die Bundes-FDP dachte nicht daran, den Parteifreunden im Südwesten zu ihrem Coup zu gratulieren: Der FDP-Fraktionsvorsitzende August Martin Euler bezeichnete das Verhalten der DVP als einen schweren Affront gegen die Politik der Gesamtpartei. Der folgende Bundesparteitag der FDP am 14. Juli 1952 in Essen stellte fest, "daß die Regierungsbildung in Baden-Württemberg der politischen Aufgabe der FDP angesichts der gegenwärtigen staatsgefährdenden Obstruktionspolitik der Sozialdemokratischen Partei im Bunde zuwiderläuft".

In derselben Entschließung des Essener Parteitags verlangte die FDP eine Generalamnestie für "sogenannte Kriegsverbrecher" und äußerte die Erwartung, "daß dem endlich erreichten formellen Abschluß der Entnazifizierung nun noch die innere Befriedung folge durch die gegenseitige Bereitschaft zu tatsächlicher Gleichberechtigung". Niemand dürfe "wegen seiner politischen Gesinnung in der Vergangenheit Staatsbürger minderen Rechts oder Ansehens sein". Ein paar Tage später drohte der nordrhein-westfälische FDP-Bundestagsabgeordnete Erich Mende, er und zwei Dutzend andere Parlamentarier würden die Ratifizierung des Deutschland-Vertrags und des EWG-Vertrags ablehnen, falls nicht bis zur dritten Lesung eine große Anzahl Kriegsverbrecher von den Alliierten freigelassen würden.

"Deutsches Programm" kontra "Liberales Manifest"

Mit Marschmusik und schwarz-weiß-rotem Gepränge empfing die FDP im November 1952 die Delegierten des Bundesparteitags in Bad Ems: Der wiedergewählte Vorsitzende Franz Blücher unterzog die liberale Parteigeschichte vor 1933 einer höchst eigenwilligen Deutung, indem er es als den entscheidenden Fehler der "Deutschen Staatspartei" bezeichnete, in der Frontgeneration nur eine "Gefahr von rechts" gesehen zu haben, statt diese soldatischen Menschen im Bewußtsein der nationalen Verantwortung an den demokratischen Staat zu binden. Neuer stellvertretender Vorsitzender wurde Friedrich Middelhauve, der Vorsitzende des rechtslastigen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen.

Der Flügel um Middelhauve hatte inzwischen ein "Deutsches Programm" erarbeitet, das der FDP endgültig den Weg zu einer deutschnationalen Sammelbewegung rechts von der CDU/CSU weisen sollte. Der eigentliche Verfasser des "Deutschen Programms" soll Hans Fritzsche gewesen sein, der frühere Chefkommentator des NS-Rundfunks, was von der FDP aber bestritten wurde. Kontrastierend zum Programm des rechten Flügels, das von den Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Hessen unterstützt wurde, legten die liberaleren Kräfte ein "Liberales Manifest" vor, hinter dem die Landesverbände Hamburg, Bremen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Rheinland-Westfalen standen.

Versuch zur Übernahme der DP

Als wichtigen Kandidaten für die "nationale Sammlung" rechts von der Union nahm der Flügel um Middelhauve die gesinnungsverwandte "Deutsche Partei" (DP) ins Visier. Im Februar 1953 löste die DP ihren Landesverband Nordrhein-Westfalen auf, um "zerstörenden Kräften den Boden für weitere Machenschaften zu entziehen". Anscheinend wollte der DP-Vorsitzende Heinrich Hellwege die Übernahme des Landesverbandes durch die FDP verhindern und ein Signal gegen künftige Abwerbungsversuche setzen. Der FDP-Bundesvorsitzende Franz Blücher und sein Vize Middelhauve bestritten anschließend, man habe den DP-Landesverband kaufen wollen.

Meinungsumfrage weist FDP als Partei der Nazi-Sympathisanten aus

Die amerikanische Besatzungsmacht veröffentlichte im Januar 1953 eine Meinungsbefragung, die in ihrem Auftrag im Dezember 1952 durchgeführt worden war. Demnach hatte der Anteil der mit nationalistischen Gedanken sympathisierenden Deutschen in den letzten achtzehn Monaten erheblich zugenommen. Als Gegner des Nationalsozialismus bekannte sich weiterhin nur eine Minderheit von 39 Prozent der Gesamtbevölkerung (zuvor 40 Prozent). Aber nun waren plötzlich schon 44 Prozent der Meinung, daß der Nationalsozialismus den Deutschen mehr Gutes als Schlechtes gebracht habe (Zuvor 34 Prozent).

Vor allem unter den Anhängern der FDP und der anderen Rechtsparteien sei ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen gewesen. So würden von der Gesamtbevölkerung nur vier Prozent ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus begrüßen, aber 25 Prozent der FDP-Anhänger. Die Frage, ob Ex-Nazis in Politik und Wirtschaft in jeder Weise die gleichen Möglichkeiten erhalten sollten, hätten im Gesamtdurchschnitt 36 Prozent bejaht, aber 80 Prozent der FDP-Anhänger.

Affäre um ein Komplott ehemals führender Nazis belastet die Partei

Am 15. Januar 1953 gab die britische Besatzungsmacht bekannt, sie habe eine Verschwörung von ehemals führenden Nationalsozialisten aufgedeckt und die Rädelsführer verhaftet. Hauptverdächtiger war der frühere Staatssekretär im NS-Propagandaministerium, Werner Naumann, den Hitler in seinem Testament zum Nachfolger von Goebbels ausersehen hatte. Die Nazi-Verschwörer wollten ihre Anhänger bei der FDP und anderen Rechtsparteien Schlüsselpositionen besetzen lassen, um wieder an die Macht zu kommen. Prominentestes FDP-Mitglied mit Kontakten zum Naumann-Kreis war der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Ernst Achenbach, Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der Bundespartei.

Die Naumann-Affäre verschärfte die Spannungen innerhalb der Partei, die sich mit dem Konflikt zwischen dem "Deutschen Programm" und dem "Liberalen Manifest" bereits überdeutlich abgezeichnet hatten. Zu denjenigen, denen der ganze "Rechtsgalopp" zuwider war, gehörte etwa Reinhold Maier. Sogar in Nordrhein-Westfalen probte nun eine liberale Minderheit den Aufstand gegen den Landesvorsitzenden Middelhauve. Sie unterlag aber mit 52 gegen 231 Stimmen der Mehrheit, die Middelhauve das Vertrauen aussprach. Daraufhin beschloß am nächsten Tag der Landesverband Berlin, auf dem kommenden Bundesparteitag einen Mißtrauensantrag gegen Middelhauve einzubringen.

Bundesjustizminister Thomas Dehler hielt es ebenfalls für an der Zeit, einen klaren Trennstrich zu den Ewig-Gestrigen zu ziehen: "Die letzten Wochen haben uns in erschreckender Weise gezeigt, daß diese gefährlichen Toren wieder am Werke sind. Wer an ihrem Geist teil hat oder wer sich auch nur mit ihnen eingelassen hat, taugt nicht für uns."

Interner Bericht zur Unterwanderung der Partei

Die FDP beauftragte Thomas Dehler, Fritz Neumayer und Alfred Onnen mit der Untersuchung der Vorwürfe. Am 5. Juni 1953 legte die Kommission ihren Bericht dem Bundesvorstand vor. Er offenbarte, daß in der nordrhein-westfälischen FDP eine Seilschaft alter Nazis bestand und die hauptamtlichen Mitarbeiter der Partei sich weitgehend aus ehemaligen hohen Chargen des NS-Staates rekrutierten. Die Unterwanderung begann mit dem inzwischen verstorbenen Fraktionssekretär Wilke, einem ehemaligen Mitglied der Reichsjugendführung, der 1947 zur nordrhein-westfälischen FDP gekommen war. Nach Feststellung der Kommission hatte Wilke den "Apparat" der Partei beherrscht und zahlreiche braune Gesinnungsgenossen protegiert. Als Beispiele für braune Hauptamtliche nannte der Bericht die Namen Zoglmann (SS-Obersturmführer und HJ-Gebietsführer in der Reichsjugendführung), Jäckel (Hauptgeschäftsführer in der Reichsarbeitskammer), Dr. Brandt (persönlicher Referent von Konrad Henlein), Marks (SS-Standartenführer), Gröschel (SS-Hauptsturmführer), Kraas (SS-Brigadeführer), Rieger (Kreisleiter), Stolle (Mitglied der Reichsleitung der "Deutschen Arbeitsfront"), Sieger (Ordensjunker), Mundolf (Gaurichter der NSDAP), Prager (Gebietsführer der HJ), Stachon (Kreisamtsleiter), Dr. Deumling (SS-Obersturmbannführer bei Gestapo und SD, Berndt (SS-Standartenführer beim SD) und Mertens (HJ-Bannführer).

Middelhauve deckt Funktionäre mit brauner Vergangenheit

Auch der Landtagsabgeordnete Ernst Achenbach und der Landesvorsitzende Friedrich Middelhauve wurden in dem Bericht schwer belastet. Im Falle Achenbachs forderte die Kommission kategorisch den Ausschluß aus der FDP, zu der er "nach seiner Grundhaltung" niemals gehört habe. Über Middelhauve hieß es, er habe "durch sein Verhalten eine Gefahr für den Bestand und des Ansehen unserer Partei gesetzt". Indessen könne ihm "der gute Glaube nicht abgesprochen werden". Dem Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes, Wolfgang Döring, warf die Kommission vor, er habe es an der erforderlichen Loyalität und Aufrichtigkeit fehlen lassen. Dies zu ahnden, bleibe dem Landesvorstand überlassen. Schließlich wurden drei hauptamtliche Funktionäre der FDP genannt - Diewerge, Drewitz und Brandt - , die wegen schwerer Verstöße gegen die Grundsätze der Partei auszuschließen seien.

Middelhauve hatte zumindest beide Augen zugedrückt, wenn es um die Einstellung alter Nazis ging. Nachdem die Naumann-Affäre ins Rollen gekommen war, hatte er sich sogar geweigert, der von Dehler geleiteten Untersuchungskommission eine Liste aller hauptamtlichen FDP-Mitarbeiter mit Angaben zu deren politischer Vergangenheit zukommen zu lassen: Das Ansinnen Dehlers stand für ihn "im Gegensatz zu der offiziellen Haltung der Partei, die schon seit Jahren den Abschluß der Entnazifizierung fordert und in Nordrhein-Westfalen sogar die Vernichtung der Entnazifizierungsakten offiziell im Landtag beantragt hat".

Achenbach lädt Alt-Nazis zur Unterwanderung der FDP ein

Wichtigster Verbindungsmann zu den Ex-Gauleitern und anderen Nazis um Werner Naumann war Ernst Achenbach, der vor dem Nürnberger Militärgerichtshof Angeklagte der IG Farben verteidigt hatte. Der FDP-Politiker unterhielt in seiner Essener Anwaltskanzlei ein Büro für die Generalamnestie aller NS-Verbrechen. Als sachkundige Gehilfen beschäftigte er den in Dänemark zum Tode verurteilten SS-Obergruppenführer Werner Best und den SS-Brigadeführer Franz Alfred Six.

Achenbach hatte von sich aus den Kontakt zu Naumann aufgenommen und diesen aufgefordert, mit anderen Gesinnungsgenossen in die FDP einzutreten. Im Tagebuch des verhafteten Naumann fand sich unter anderem folgende Notiz über ein Gespräch mit Achenbach:

"Daß Adenauer im Augenblick nicht die schlechteste Lösung für uns ist, findet natürlich meine Zustimmung. Ein Volk in dieser Lage, ohne nationale Souveränität, von Hohen Kommissaren regiert, braucht Stresemänner. Um den Nationalsozialisten unter diesen Umständen trotzdem einen Einfluß auf das politische Geschehen zu ermöglichen, sollen sie in die FDP eintreten, sie unterwandern und ihre Führung in die Hand nehmen. An Einzelbeispielen erläuterte er, wie leicht das zu machen wäre. Mit nur 200 Mitgliedern können wir den ganzen Landesvorstand erben. Mich will er als Generalsekretär oder ähnliches engagieren!! Es ist ihm so ernst um sein Angebot, daß er zum Schluß bedeutet: entweder wir nehmen an und unterstützen ihn, oder er zieht sich aus der Politik zurück."

Achenbach mußte die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen Naumanns weitgehend zugeben. Er bestritt jedoch, die Nazis zur Unterwanderung der Partei eingeladen zu haben. Allenfalls habe er vielleicht gesagt: "Wer anständig ist, kann bei uns etwas werden wie jeder andere."

Einer dieser "Anständigen", die bei der FDP etwas werden konnten, war Wolfgang Diewerge, den Middelhauve auf Empfehlung Achenbachs zu seinem Privatsekretär gemacht hatte. Diewerge war ein hoch dekorierter SS-Standartenführer, der unter anderem seit 1935 den Titel eines "Reichsredners" der NSDAP führte und die Abteilung Rundfunk im Propagandaministerium geleitet hatte. Er kannte fast alle der ehemaligen Nazi-Größen, die nach Mitteln und Wegen suchten, um wieder politischen Einfluß zu erlangen. Middelhauve empfahl dem Organisationsausschuß der Gesamtpartei, Diewerge zur Rednerschulung in den Landesverbänden einzusetzen. Er ließ sich davon auch nicht abbringen, als ihm die politische Vergangenheit seines Günstlings vorgehalten wurde. Um Diewerge für die geplante Vortragstätigkeit zu entlasten, stellte er den ehemaligen NSDAP-Landrat Heinrich Lindner als zweiten Privatsekretär ein.

Achenbach kann seine Partei-Karriere trotz der schweren Vorwürfe fortsetzen

Der Bundesvorstand der FDP beriet am 7. Juni 1953 über den vertraulichen Bericht der Dreierkommission. Anschließend gab er bekannt, daß Diewerge, Drewitz, Brandt und Mertens aus den Diensten der Partei ausgeschieden seien. Bei Drewitz handelte es sich um einen ehemaligen Goebbels-Propagandisten und Herausgeber der ultrarechten FDP-Publikation "Deutsche Zukunft", für die Siegfried Zoglmann als Chefredakteur zeichnete.

Gegen Achenbach sei ein Ausschlußverfahren eingeleitet worden, weil er der Gesamtpartei durch sein Verhalten schwer geschadet habe, hieß es in der Mitteilung des Bundesvorstands weiter. Dieses Ausschlußverfahren verlief dann allerdings im Sande. Bei den Bundestagswahlen 1957 zog Achenbach sogar ins Bonner Parlament ein und vertrat dort die FDP bis 1976. Außerdem war er von 1962 bis 1977 Mitglied des Europa-Parlaments und wäre 1974 von der sozialliberalen Koalition fast zum EG-Kommissar gemacht geworden. Er starb Ende 1999 im Alter von 82 Jahren. Kurz vorher war noch bekannt geworden, daß er 1941 als Gesandtschaftsrat bei der Deutschen Botschaft in Paris bei Judendeportationen mitgewirkt hatte.

Middelhauve und sein Landesvorstand kamen in dem Bericht des Bundesvorstands mit einem leichten Tadel davon: Sie seien "in ihrer Bereitschaft, ehemalige Nationalsozialisten zur Mitarbeit in dem demokratischen Rechtsstaat heranzuziehen, durch untreue Kräfte in einigen Fällen getäuscht und in einem Falle schwer mißbraucht worden". Die "vereinzelt festgestellten Versuche" zu einer Unterwanderung der Partei seien aber insgesamt gescheitert: "Die FDP ist nicht unterwandert."

Auf dem drei Wochen später stattfindenden Bundesparteitag in Lübeck wurden weder die Naumann-Affäre noch das "Deutsche Programm" erörtert. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen hielten die Flügel Burgfrieden. Der Vormarsch der Rechten war jedoch vorerst gestoppt. Dies kaum auch äußerlich darin zum Ausdruck, daß mehr schwarz-rot-gold als deutschnationales schwarz-weiß-rot zu sehen war.

Ernüchterung nach den Bundestagswahlen

Die Wahlen zum zweiten Bundestag am 6. September 1953 zeigten dann, daß rechts von den Unionsparteien nicht viel zu holen war: Während die CDU/CSU mit einem Stimmenanteil von 45,2 Prozent (31 Prozent) einen enormen Zuwachs erlebte, mußten alle Rechtsparteien Wähler abgeben: Die FDP fiel von 11,9 auf 9,5 Prozent, die DP von 4,0 auf 3,3 Prozent und die "Deutsche Reichspartei" (DRP) von 1,8 auf 1,1 Prozent. Die zuletzt genannte Partei hatte den inzwischen wieder aus der Haft entlassenen Werner Naumann neben dem Nazi-Fliegeridol Hans Ulrich Rudel und dem Schriftsteller Hans Grimm ("Volk ohne Raum") als Spitzenkandidaten nominiert.

Besonders herbe Stimmenverluste erlitt die FDP in liberalen Hochburgen wie Baden-Württemberg (von 17,6 auf 12,7 Prozent) und Hamburg (von 15,8 auf 10,3 Prozent). Aber auch in Hessen, das ähnlich Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine Hochburg der Parteirechten war, sank sie von 28,1 auf 18,7 Prozent. Ihr liefen also auf der einen Seite die liberalen Wähler davon, während auf der anderen Seite der Vorstoß ins deutschnationale Potential nicht vorankam.

Das Konzept einer deutschnationalen Sammelpartei rechts von der CDU/CSU konnte damit als gescheitert gelten. Die FDP mußte sich in anderer Weise profilieren, um der CDU/CSU "bürgerliche" Wähler abspenstig zu machen. Vor allem mußte sie einen Ausweg aus der deutschnationalen Sackgasse finden, in die sie der "Rechtsgalopp" geführt hatte.

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