PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Ein Altmeister des Elektrosmog-Grusels

Wulf-Dietrich Rose

Ich stehe unter Strom - Krank durch Elektrosmog

188 S., DM 16.80, Kiepenheuer & Witsch 1996

In den achtziger Jahren tingelte Wulf-Dietrich Rose als "Baubiologe" durch die Lande, der sich auf "Wohngifte" und "Wohnkrankheiten" spezialisiert hatte. Wer ihn hörte oder seine Bücher las, konnte einen ganz gehörigen Schrecken kriegen, wieviele heimtückische Gifte in der häuslichen Umgebung lauerten. Aber zum Glück gab es Roses "Institut für Baubiologie" in Rosenheim: Wer Kosten und Mühen nicht scheute, konnte sich von diesem seine Wohnung auf alle drohenden Gefahren hin untersuchen lassen.

Schon damals verstand es Rose vortrefflich, Umwelt-Ängste in klingende Münze zu verwandeln, ob sie nun berechtigt, übertrieben oder nur eingebildet waren. Zum Beispiel pries sein Institut einen "Passiv-Sammler" zur Ermittlung von Formaldehyd-Ausdünstungen an. Das Ding bestand aus einem Glasröhrchen mit zwei Plastikstöpseln an den Enden und drei Drahtscheibchen drin. Dem Publikum wurde erzählt, daß ein Formaldehyd-Test normalerweise um die 3000 Mark koste. Bei Roses Institut, das diese Röhrchen massenhaft per Post verschickte und wieder einsammelte, war die Untersuchung dagegen schon für 275 Mark zu haben. Das hörte sich gut an. In Wirklichkeit kostete aber eine derartige Untersuchung nur 15 bis 25 Mark, wenn man sie z.B. vom Hygiene-Institut einer Universität durchführen ließ.

Ein Altmeister des Elektrosmog-Grusels

Gegen Ende der achtziger Jahre verlagerte Rose seine Tätigkeit zunehmend auf die angeblichen Gesundheitsrisiken elektromagnetischer Felder. 1987 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Elektrosmog - Elektrostress", das 1990 auch als Ratgeber bei Kiepenheuer & Witsch herauskam. In der Einleitung zu dem vorliegenden Buch rühmt er sich, er habe damit das "weltweit erste Sachbuch zur Elektrosmog-Problematik" veröffentlicht. Damit nimmt er den Mund reichlich voll: Zum Beispiel lag schon 1980 die deutsche Übersetzung eines Buchs vor, in dem der amerikanische Journalist Paul Brodeur "Die Emordung Amerikas" durch hochfrequente elektromagnetische Felder prophezeite. Aber ein Gespür für den Zeitgeist, wie er damals aus den USA nach Europa herüberwehte, hatte Rose sicherlich. Man kann ihm fraglos bestätigen, daß er zu den Altmeistern des Elektrosmog-Grusels gehört.

In seinem ersten Elektrosmog-Buch hatte sich Rose als "langjähriger Leiter des Instituts für Baubiologie in Rosenheim" vorgestellt, der auch als "Dozent an der Akademie für Baubiologie in Rosenheim" tätig sei. In der vorliegenden Neuerscheinung bezeichnet er sich nun als "Leiter der Internationalen Gesellschaft für Elektrosmog-Forschung (IGEF) in Rosenheim". In dieser Eigenschaft hat er angeblich über 5000 Fälle untersucht, in denen Menschen den Verdacht hegten, durch elektromagnetische Felder geschädigt worden zu sein. Mit dem vorliegenden Buch will er "die interessantesten und häufigsten Fälle" vorstellen.

Nervenzusammenbruch durch Zahnbürste und ähnliche Horrorgeschichten

Die erste Geschichte handelt von einer elektrischen Zahnbürste, deren magnetisches Wechselfeld eine Lehrerin in den Nervenzusammenbruch getrieben haben soll. Weitere Horrorstories berichten von erhöhtem Gehirntumor-Risiko in Elektroberufen, Herzrhytmusstörungen durch ein Kalkschutzgerät, Zahnproblemen durch Elektrosmog, Sehstörungen durch Handy-Telefone, Fehlgeburten durch schadhafte Elektroinstallation, Unterleibskrebs durch Elektroherd, Schulproblemen durch Elektrostress, Kopfschmerzen durch Schreibtischlampen, schlaflosen Nächten durch Elektroboiler, Herzinfarktrisiko durch Mikrowellen, Haarausfall durch Leuchtstoffröhren, epileptischen Anfällen durch eine Hochspannungsleitung oder Depressionen durch eine Stereo-Anlage. Die Alzheimer-Krankheit kommt auch vor, und das gleich mehrfach. Letztlich scheint es kein Übel zu geben, das sich für Rose nicht auf Elektrosmog zurückführen ließe. Im Stichwortverzeichnis findet man über sechzig Gebrechen - von A wie Alpträume bis Z wie Zahnprobleme - , die angeblich alle mit Feldern zu tun haben. Und dabei hat Rose, wie er bemerkt, nur die "am häufigsten vorkommenden gesundheitlichen Störungen" in seine Schreckensliste aufgenommen.

Oft läßt Rose seine Fallschilderungen mit einem Brief beginnen, den ein Hilfesuchender an sein Institut gerichtet hat (allerdings fällt auf, daß die Hilfesuchenden einen sehr einheitlichen Briefstil pflegen). Als Wurzel des Übels erkennt er dann regelmäßig irgendwelche magnetischen oder elektrischen Felder. Die Abhilfe besteht oft darin, ein elektrisches Gerät zu versetzen, ein Bett zu verrücken, eine Leitung abzuschirmen, eine Kabelführung zu ändern, einen Netzfreischalter einzubauen oder eine Erdung vorzunehmen. In vielen Fällen kann es nach Roses Empfehlungen aber auch notwendig sein, daß der Anwohner einer Hochspannungsleitung sein Haus aufgibt, ein Amateurfunker sein Hobby an den Nagel hängt oder die gesamte Elektroinstallation eines Hauses gemäß "baubiologischen Erkenntnissen" neu verlegt wird.

Absurde Behauptungen über die Wirkung von relativ schwachen Feldern auf den Menschen

Rose trägt seine Fallschilderungen der Form nach sachlich vor, was die Gruselwirkung noch verstärkt, da sich der Leser mit reinen Fakten konfrontiert glaubt. In Wirklichkeit ist das wissenschaftliche Mäntelchen, das sich der Autor umhängt, aber äußerst fadenscheinig. Sein Buch ist eine Mischung von banalen Sachverhalten mit Übertreibungen und Unsinn.

So klingen zwar die meisten Feldstärken plausibel, die er unter den genannten Bedingungen ermittelt haben will, und ebenso mag manches zutreffen, was er über die Hilfesuchenden und ihre Beschwerden schreibt. Die tragenden Balken seiner Fallschilderungen biegen sich aber mächtig, wenn er diese Beschwerden auf die vergleichsweise minimalen Feldstärken zurückführt und als Beweis dafür die angebliche Heilung durch baubiologische Intervention anführt.

Als Beispiel mag die elektrische Zahnbürste dienen, die mit einem Magnetfeld von 850 Nanotesla einer Frau den Schlaf geraubt und sie nervlich zerrüttet haben soll. Zunächst mal ist es durchaus möglich, daß der Kleintrafo im Ladegerät einer solchen Zahnbürste auf etwa dreißig bis vierzig Zentimeter Entfernung ein magnetisches Wechselfeld der genannten Flußdichte erzeugt. Man braucht auch kein Hypochonder zu sein, um mit solchen Geräten nicht gerade auf Tuchfühlung schlafen zu wollen (die Stärke von Magnetfeldern verringert sich rapide mit der zweiten oder dritten Potenz zum Abstand). Es ist aber dennoch völlig unwahrscheinlich, daß die genannte Feldstärke einen Menschen ernsthaft in seinem Wohlbefinden beeinträchtigen oder sogar reif für die Psychiatrie machen könnte, wie Rose dies darstellt. Jedenfalls konnten bei diesbezüglichen Tests keine nachteiligen Effekte festgestellt werden, obwohl man die Versuchspersonen weit größeren Feldstärken ausgesetzt hat. Noch unsinniger ist seine Behauptung, "daß bereits mit 4 Nanotesla starken magnetischen Wechselfeldern eine Überreizung des Nervensystems erzeugt werden kann". Wer sich ein bißchen in der einschlägigen Forschung und Literatur auskennt, merkt bei solchen Sätzen schnell, daß hier kein seriöser Forscher schreibt, sondern ein moderner Moritaten-Erzähler.

Grundsätzlich haben Roses Horrorgeschichten alle den Schönheitsfehler, daß sie sich nicht überprüfen lassen. Der einzige Gewährsmann bleibt der Autor. Für viele Leser mag dieser Autor zugleich Autorität besitzen, weil er sich als "Leiter der Internationalen Gesellschaft für Elektrosmog-Forschung" vorstellt. Sie sollten jedoch bedenken, daß ein "Institut" oder eine "Gesellschaft" mit wohlklingendem Namen schnell gegründet sind. Ebensowenig ist die Berufsbezeichnung "Baubiologe" geschützt. Unter Wissenschaftlern, die sich ernsthaft mit den biologischen Wirkungen von Feldern und möglichen Gesundheitsrisiken befassen, ist Roses Gesellschaft weitgehend unbekannt oder genießt den zweifelhaften Ruf von Instituten, die allerlei Wundermittel zur Gewichtsabnahme, gegen Haarausfall oder abstehende Ohren anbieten.

Geschäft mit der Angst vor "Elektrosmog"

Rose bietet zwar keine Schlankheitsmittel an, dafür aber eine ganze Reihe von Geräten, Materialien und Dienstleistungen, die nur dann Sinn machen, wenn der Kunde an die allgegenwärtige Bedrohung durch "Elektrosmog" glaubt. Genaueres erfährt der Leser, wenn er sich an die Adresse des Rosenheimer Instituts wendet oder die angegebene Telefonnummer wählt.

Das Buch macht zugleich Reklame für Heilberufler, die sich auf das Kurieren von Leiden durch "Elektrosmog" spezialisiert haben. Neben den Adressen etlicher Ärzte und Heilpraktiker empfiehlt es die "Erste Deutsche Klinik für Traditionelle Chinesische Medizin". Angeführt wird die Liste von dem praktischen Arzt Karl-Heinz Braun von Gladiß, der sich auch publizistisch für die Elektrosmog-Gemeinde ins Zeug legt. Wer unter "Elektrosensibilität" zu leiden vermeint, kann sich von Roses Institut die Adressen von ausgewählten Heilkundigen schicken lassen, die für das Thema "Elektrosensibilität" hinreichend sensibilisiert sind.

Man könnte den Eindruck gewinnen, daß hier mit nüchternem Kalkül und im angemaßten Kleid der Wissenschaft eine geschäftstüchtige Panikmache betrieben wird. Dennoch ist bei den professionellen "Elektrosmog"-Gurus sicher auch Überzeugung bzw. sektiererische Verbohrtheit mit im Spiel. Ein Hauch Okkultismus durchwabert das ganze Buch. Dieser okkulte Einschlag wird besonders dort deutlich, wo sich Rose über ein angeblich vorhandenes Instrumentarium zur Fernsteuerung menschlichen Denkens und Verhaltens ausläßt. So behauptet er, daß es den Sowjets schon 1970 gelungen sei, "den Code für bestimmte Worte durch Elektroden ins Gehirn zu senden". Ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter habe ihm berichtet, daß es inzwischen sogar möglich sei, "Menschen drahtlos auch über größere Entfernungen mit den Signalen für bestimmte Gehirnwellen-Muster so dezent zu bestrahlen, daß diesen gar nicht auffällt, daß das, was sie denken, nicht von ihnen selbst gewollt ist." Umgekehrt klappe die Sache ebenfalls: "Japanische Computertechniker haben einen Computer entwickelt, der drahtlos die Gehirnströme eines am Bildschirm arbeitenden Menschen so exakt analysiert, daß die Denkvorgänge in Worten und Sätzen auf dem Bildschirm sofort erscheinen."

Rose verzapft diesen Unsinn gleich zweimal an verschiedenen Stellen des Buches, wobei der Wortlaut fast identisch ist, als habe der Textautomat verrückt gespielt. Sein Institut will sogar schon zahlreiche Fälle untersucht haben, in denen das Denken und Handeln von Menschen durch drahtlose Fremdsteuerung auf geheimnisvolle Weise manipuliert wurde. Insofern nähme es nicht wunder, wenn Geheimdienste und Militärs ihr diesbezügliches Gerät auch mal kurz auf Rosenheim gerichtet hätten, um die Aufdeckung ihrer Manipulationstechniken zu verhindern. Aber es müßte dann schon ein sehr kräftiger elektromagnetischer Impuls gewesen sein, der den Gehirnwellen des Leiters des "Internationalen Instituts für Elektrosmog-Forschung" derart zusetzte ...

Fazit: Es kann niemandem verboten werden, das Blaue vom Himmel herunterzufabulieren, solange er damit nicht in juristisch faßbarer Weise die Interessen anderer verletzt. Die Vernunft ist nichts, was sich einklagen läßt. Ebenso darf jeder Verlag soviel Unsinn veröffentlichen, wie ihm opportun erscheint. Allerdings sollte man sich schon wünschen dürfen, daß er dann Bücher wie das vorliegende nicht als wissenschaftlich fundierten "Ratgeber" etikettiert, sondern unmißverständlich in der Abteilung für Esoterik, Magie und Okkultismus plaziert.

(PB Juni 1996/*leu)