PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Die neueste Horror-Story von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Knut Sievers

Elektrosmog - die unsichtbare Gefahr

239 S., DM 29.90, Langen Müller (F. A. Herbig Verlagsbuchhdlg.) 1997

Der Verfasser des vorliegenden Buches wird im Klappentext als "Elektronikexperte und Fachautor" vorgestellt. Außerdem sei er "ein gefragter Berater von Unternehmen und Privathaushalten in Sachen "Elektrosmog". - Also endlich ein ernstzunehmendes Buch über Felder und deren möglichen biologischen Wirkungen?

Aber leider beherrscht der Autor nicht einmal das kleine Einmaleins der Hobby-Elektronik, wie es jedem Radiobastler oder Amateurfunker geläufig ist. Zum Beispiel vergleicht er die Struktur von Blättern oder Fichtenzweigen mit den Formen einer Fernsehantenne, um zu begründen, weshalb Funkwellen auf Pflanzen einwirken und so das "Waldsterben" verursachen würden. - Offensichtlich hat er keine Ahnung von der Funktionsweise einer Antenne. Sonst müßte er wissen, daß die erwähnten Pflanzenteile trotz gewisser Ähnlichkeiten mit den stabförmigen Elementen einer UKW-Antenne nicht deren elektrische Funktionen übernehmen können. Schließlich fliegen auch Tontauben nicht, obwohl sie eine gewisse Ähnlichkeit mit richtigen Tauben haben.

Von unfreiwilliger Komik ist auch, wie er beiläufig die Störungen beim Radioempfang im Lang- und Mittelwellenbereich erklärt: Sie kämen deshalb zustande, weil sich Lang- und Mittelwellen - im Gegensatz zu den Ultrakurzwellen - "nicht durch die Luft, sondern als Bodenwellen fortpflanzen". Dies führe zu einer "Verschmutzung" der übertragenen Informationen bzw. zu den erwähnten Störgeräuschen.

Vermutlich hat unser "Elektronikexperte" etwas vom Unterschied zwischen Boden- und Raumwelle beim Rundfunkempfang gehört, aber so gut wie alles mißverstanden: Sonst wüßte er beispielsweise, daß a) auch die Mittelwellen abends als Raumwellen zum Empfänger gelangen, b) im störanfälligen Kurzwellenbereich aussschließlich die Raumwelle empfangen wird und c) der störungsfreie Empfang auf UKW ausschließlich über die Bodenwelle erfolgt. Überhaupt hängt die Störanfälligkeit eines Rundfunkbereichs nicht wesentlich davon ab, ob das Signal als Bodenwelle oder als Raumwelle zum Empfänger gelangt. Entscheidend ist vielmehr die Art der Modulation: Falls der Verfasser sich die Mühe machen würde, sein eigenes Radio mal näher zu betrachten, könnte er dort vielleicht zwei Abkürzungen entdecken: AM für die störanfällige Amplituden-Modulation im Lang-, Mittel- und Kurzwellenbereich und FM für die weitgehend störungsfreie Technik der Frequenz-Modulation.

An anderer Stelle belehrt der Autor den Leser, daß man die Maßeinheit der Frequenz nach dem Physiker Heinrich Hertz benannt habe, weil dieser "die Wellenstruktur des Wechselstroms entdeckte". Hier verwechselt er offensichtlich den Begriff Wechselstrom, der nur für Niederfrequenz anwendbar ist, mit den elektromagnetischen Wellen des Funks. Aber auch dann würde die Darstellung so nicht stimmen: In Wirklichkeit hat Hertz den experimentellen Nachweis der elektromagnetischen Wellen erbracht, nachdem deren Existenz und Struktur bereits von Maxwell theoretisch beschrieben worden war. Die angebliche Entdeckung der "Wellenstruktur des Wechselstroms" wäre hingegen eine so banale Angelegenheit gewesen wie die definitive Entdeckung, daß das Rad rund ist ...

Noch die einfachsten Dinge bringt der Autor durcheinander: So warnt er vor "Halogenlampen", weil diese besonders starke Magnetfelder erzeugen würden. Er meint damit die modischen Niedervolt-Lampen, deren blanke Leitungen man wegen der geringen Spannung gefahrlos anfassen kann: Gemäß dem Ohmschen Gesetz müssen solche Niedervolt-Lampen einen stärkeren Stromfluß haben, um auf dieselbe Leistung wie eine 230-Volt-Glühlampe zu kommen. Entsprechend stärker ist deshalb auch das Magnetfeld um die stromführenden Leiter. Insoweit scheint der Autor wenigstens einen der physikalischen Zusammenhänge begriffen zu haben. Er übersieht aber völlig, daß Halogenlampen nicht unbedingt Niedervolt-Lampen sind: Es gibt diese besonders hellen und langlebigen Glühlampen für alle gebräuchlichen Spannungsebenen - vom Fahrrad-Scheinwerfer bis zur Leuchte für die Steckdose. Seine Warnung vor den Magnetfeldern von "Halogenlampen" ist vor allem deshalb absurd, weil Halogen-Glühlampen dank ihrer höheren Lichtausbeute grundsätzlich ein schwächeres Magnetfeld haben als normale Glühlampen gleicher Helligkeit.

Elektrisches und magnetisches Feld sind "zwei Gesichter derselben Schurkenpersönlichkeit"

Der angebliche Elektronikexperte entpuppt sich also als Banause, was die technisch-physikalischen Grundlagen jenes Gebiets betrifft, auf denen der "Elektrosmog" wabern und unsere Gesundheit heimtückisch untergraben soll. Ein gewisses Talent für "allgemeinverständliche" Darstellungsweise läßt sich ihm dagegen nicht absprechen. Sogar Redakteure der "Bild-Zeitung" könnten vor Neid erblassen, wie virtuos er mit dem Holzhammer umzugehen versteht. Zum Beispiel deutet er den Zusammenhang zwischen elektrischem und magnetischem Feld unter Rückgriff auf die Horror-Story von "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" als gruseliges Doppelgängertum: Die Spannung mit dem dadurch bewirkten elektrischen Feld möge sich der Leser doch bitte als "Dr. Jekyll" vorstellen; die Stromstärke mit dem dadurch erzeugten Magnetfeld sei dagegen der "Mr. Hyde" - zwei Gesichter ein- und derselben mörderischen "Schurkenpersönlichkeit", die uns vor allem in der gräßlichen Gestalt des "Mr. Hyde" mit Magnetfeldern nach Gesundheit und Leben trachte.

Selbst das Wort "Elektrosmog" klingt dem Verfasser zu harmlos. Um den Grusel noch bildhafter zu gestalten, verwendet er lieber das Wort "Elektrodrache" bzw. "Elektrosmogdrache". Entsprechend geht es bei Maßnahmen zur Verringerung von Feldstärken darum, den Elektrodrachen in einen "Elektrolurch" zu verwandeln. Elektronische Dimmer seien "gleichsam die Warzen auf dem Schuppenleib des Elektrodrachen". Wer sich dreimal täglich die Zähne mit einer elektrischen Zahnbürste reinige, könne seine Mundhöhle "ebensogut mit einem Sandstrahlgebläse traktieren und anschließend eine Handvoll Quecksilberkugeln schlucken". Wer sich morgens nach der Dusche die Haare föne, "überschüttet sich förmlich mit elektromagnetischen Strahlen".

"Wäre Elektrosmog schwarz, könnten wir vielerorts die Hand nicht mehr vor Augen sehen", lautet ein anderer bildhafter Vergleich, der für naive Leser sicher sehr einprägsam ist und extrem bedrohlich wirkt. Wer dagegen ein bißchen Ahnung von Physik hat, wird ihn höchst albern finden: Etwas Schwarzes erscheint uns deshalb als schwarz, weil es alle Frequenzen im sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums absorbiert. Wenn also "Elektrosmog" schwarz wäre, würde er sich als Teil des elektromagnetischen Spektrums gewissermaßen selbst eliminieren.

Mit sprachlicher Brachialgewalt gelingt es dem Autor aber dennoch, den "Elektrosmog" in den schwärzesten Farben zu malen. Die apokalyptischen Reiter schrumpfen zu possierlichen Gestalten, wenn man liest, wie uns das elektromagnetische Unheil immer und überall umgarnt:

"Jeder Quadratzentimeter dieses Planeten - zumal in unseren Breiten - ist durch elektromagnetische Felder und Strahlen verseucht. Könnten wir auch die Wellenlängen unterhalb der Lichtfrequenz sehen, so wären wir tagtäglich Augenzeugen eines wahr gewordenen Alptraums: Wir alle sind von Kopf bis Fuß in Strahlenwolken eingehüllt. Bei Tag und bei Nacht. In der ëfreien Naturë, auf der Straße und - erst recht - in unseren Büros und Wohnungen, die mit elektrischen Felderzeugern und elektronischen Strahlenschleudern buchstäblich vollgestopft sind. Diese Strahlen machen uns krank. Sie schwächen den Organismus, blockieren die Immunabwehr, stören das Nervensystem und rufen Fehlfunktionen von Gehirn und Psyche hervor. Sie sind höchstwahrscheinlich für die Entstehung einiger Krebsarten und die ërätselhafteë regionale Häufung von Krebserkrankungen ebenso mitverantwortlich wie für die Alzheimersche Krankheit oder den Plötzlichen Kindstod."

Werbung für ein Elektrosmog-Meßgerät, das garantiert keine "physikalischen Daten" liefert

Angesichts dieser allgegenwärtigen und alles durchdringenden "elektromagnetischen Vergiftung" sei es "allerhöchste Zeit, daß wir anfangen, diesem Elektrodrachen das grausige Handwerk zu legen". Der Verfasser schreitet denn auch sofort als moderner Sankt Georg zur Tat, indem er praktische Anleitungen gibt, wie man zuhause oder im Büro selber "alle diese Unheilsquellen aufspüren und weitestgehend unschädlich machen kann". Es handelt sich um die üblichen baubiologischen Exerzitien, vom Umstellen der Betten bis zum Einbau von Netzfreischaltern. Angeblich hat er alle diese Maßnahmen schon erfolgreich bei einer "Familie Ohm" erprobt. - In Wirklichkeit heiße die Familie zwar anders, doch habe er ihr diesen Decknamen verliehen, um damit auszudrücken, daß "Widerstand nicht zwecklos" sei (unser "Elektronikexperte" hat offenbar auch schon davon gehört, daß Ohm die Maßeinheit für den Widerstand ist).

Seine baubiologischen Ratschläge zur Tötung des "Elektrodrachen" verbindet der Verfasser mit Produktwerbung für ein sogenanntes "Tri-Field-Meter", das es angeblich jedermann ermöglicht, gesundheitliche Risiken durch Felder selber aufzuspüren. Dieses famose Gerät sei zwar "für Fachleute, die Rohdaten erheben und aus diesen ihre eigenen Schlüsse ziehen wollen, sicher weder gedacht noch geeignet". Für den Laien sei es aber gerade ein besonderer Vorteil, daß ihn das Gerät nicht mit "unverarbeiteten physikalischen Daten" behellige, sondern ihm das Gesundheitsrisiko durch Elektrosmog jeder Art ganz unmittelbar auf einer Skala anzeige...

Im übrigen sei es nicht damit getan, den "Elektrodrachen" in den eigenen Wänden ausfindig zu machen und zu töten. Der "mündige Bürger" müsse auch politisch aktiv werden, um "mit einigen wohlgezielten politischen Forderungen diesen größten und gefährlichsten Elektrosmogdrachen zu Leibe zu rücken, die sich vor allem in den Vorstandsetagen der Strom-, Mobiltelefon- und sonstigen Elektronikkonzerne sowie in den politischen Zentralen unseres Landes verschanzt haben". Besonders empörend sei zum Beispiel, wie die gewissenlosen Profiteure von der Elektroindustrie mit ihren Geräten sogar die Kinderzimmer verseuchen würden: "Die Elektroindustrie kennt nur Profit: Kritische Wissenschaftler warnen seit vielen Jahren vor elektromagnetischem Kindesmißbrauch."

Immerhin sei Vergeltung auf einfache Weise möglich: Wer einen "besonders hartnäckigen Strom-Lobbyisten" kenne, brauche diesen nur "öfter mal auf seiner Handy-Nummer anzurufen und in ein- bis zweistündige Gespräche zu verwickeln". Natürlich müsse sich der Anrufer dabei selber eines normalen Telefons bedienen, um nicht ebenso wie der Angerufene durch den Elektrosmog geschädigt zu werden ...

Gelegentlich schwadroniert der Verfasser auch von "überwiegend seriösen und abgesicherten Fallstudien", welche die von ihm gemalten bösartigen Risiken von Feldern "hinreichend belegen" würden. Welche Art von Studien er damit meint, läßt sich erahnen, wenn man seine "ausgewählten Literaturempfehlungen" auf der letzten Seite studiert: Drei Viertel davon sind Humbug ähnlicher Güte, wie die Elektrosmog-Bücher von Wulf-Dietrich Rose (siehe PB 6/96) oder Heinz Steinig (siehe PB 5/95). Der Rest, wie etwa das Buch von König/Folkerts (siehe PB 6/92), übertreibt zumindest enorm, was die Risiken durch Felder betrifft.

Aber Belege sind für den Autor sowieso entbehrlich. Wer aus innerster Überzeugung wisse, wie furchtbar der "Elektrosmog" wüte, könne auf eine wissenschaftliche Bestätigung nicht warten: "Warum sollten wir, wenn wir wissen, was uns krank macht, diesen Krankheitserreger weiter wüten lassen, bis uns die Wissenschaft ëlückenlos erklärenë kann, wie und warum er für Körper, Geist und Psyche schädlich ist?"

Außerdem hätten sich die Stromkonzerne mit gekauften Wissenschaftlern und Politikern verschworen, um die schreckliche Wahrheit über die "elektromagnetische Vergiftung" zu unterdrücken: "Bis heute verfügen die Stromlobbyisten über erheblich größere Forschungsetats als kritische Wissenschaftler, die nicht selten von ihren konformen Kollegen geächtet und als ëesoterische Spinnerë mundtot gemacht werden. Währenddessen leiden, erkranken, und sterben hier und heute Tausende von Menschen an den Folgen elektromagnetischer Verseuchung."

Das Geschäft mit "Elektrosmog"-Ängsten lockt: Autoren und Verlage auf Dummenfang

So reiht sich in diesem Buch Stuß an Stuß, und man fragt sich - wie auch bei ähnlich gearteten baubiologischen Traktaten -, ob der Verfasser eigentlich noch ganz bei Trost ist oder ob er ein kühl kalkuliertes Spiel mit den Ängsten naiver Gemüter treibt, die ihm die Rolle des "Elektronikexperten" und "kritischen Wissenschaftlers" abzunehmen bereit sind.

Man fragt sich auch, wie tief das Niveau bei den Sachbuch-Lektoraten bestimmter Verlage noch sinken kann. "In diesem aktuellen Ratgeber wird erstmals allgemeinverständlich beschrieben, wie Elektrosmog entsteht und weshalb er massive Gesundheitsschäden hervorruft", behauptet großmäulig der Klappentext. In Wirklichkeit hechelt der Verlag mit diesem unsäglichen Buch einer ganzen Reihe ähnlich gearteter Publikationen hinterher. Neu ist höchstens die Dreistigkeit, mit der hier auf Dummenfang gegangen wird.

(PB Mai 1997/*leu)