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Rousseau-Insel und Tempel-Perspektive im Park von Wörlitz


"Zwang des Ungezwungenen"

Was Goethe und Hegel an der neuen Empfindsamkeit störte

Während Hirschfeld noch die barocken Gärten kritisierte und eine Lanze für die Empfindsamkeit brach, erhob sich bereits neue Kritik. Diese richtete sich just gegen die Empfindsamkeit und den neuen englischen Gartenstil, wie er auf dem Kontinent verstanden und in gärtnerische Tat umgesetzt wurde. Dabei muß wohl berücksichtigt werden, daß der englische Garten auf dem Kontinent weniger in seiner klassischen Form nach Art von "Capability Brown" als in seinen Spätformen (Chambers, Repton) rezipiert wurde. Denn gerade in diesen Spätformen zeigte die neue Empfindsamkeit zunehmend ihre negativen Seiten. Sie entpuppte sich als Gefühlskitsch, der auf präpapierte Reize in Aktion tritt und nach immer gröberen dinglichen Stimuli verlangt.

Justus Möser hat die "Anglomanie" der neuen Gartenkunst in einem satirischen Brief aufgespießt, den eine Anglomania Domen an ihre Großmutter schreibt. 1 Die Enkelin schildert darin die Verwandlung des Kohlstücks, das der Großmama in ihrer Jugend zum Bleichen der Wäsche diente, in einen englischen Garten:

Ihr ganzer Krautgarten ist in Hügel und Thäler, wodurch sich unzählige krumme Wege schlängeln, verwandelt; die Hügelgen sind mit allen Sorten des schönsten wilden Gesträuches bedeckt, und auf unsern Wiesen sind keine Blumen, die sich nicht auch in jenen kleinen Thälergen finden. Es hat dies meinem Manne zwar vieles gekostet, indem er einige tausend Fuder Sand, Steine und Lehmen auf das Kohlstück bringen lassen müssen, um so etwas schönes daraus zu machen. Aber es heißt nun auch, wenn ich es recht verstanden, eine Schrubbery, oder wie andere sprechen, ein englisches Boßkett.

Weiter schildert die "Anglomania Domen" ihrer Großmutter, wie ein Wasserstück ausgegraben werden soll, das von einer chinesischen Brücke überspannt wird. Zur Belebung des Gewässers sei ein halbes Dutzend Schildkröten vorgesehen. Jenseits der Brücke solle eine gotische Kirche entstehen. - Ein Einfall, den ihr Mann vermutlich dem englischen Garten von Stowe entnommen habe. Die Kirche werde wohl nicht größer als ein Schilderhäuschen sein, aber die gothische Arbeit daran wird doch allemal das Auge der Neugierigen an sich ziehen, und oben darauf kommt ein Fetisch zu stehen.

Nicht minder radikal war die Kritik, die Goethe in dem 1777 verfaßten Triumph der Empfindsamkeit an der englischen Gartenmode übte. Anders als Möser zielte Goethe weniger auf die "Anglomanie" als auf die dahinterstehende Psychologie der Empfindsamkeit. Es handelte sich dabei zugleich um Selbstkritik, denn Goethe hatte zuvor maßgeblich die Gestaltung des Parks von Weimar im englischen Stil betrieben. Vielleicht war dies der Grund, weshalb der "Triumph der Empfindsamkeit" erst zehn Jahre später gedruckt wurde. Goethe läßt darin den Hofgärtner in der Hölle über seine neue Aufgabe und die wundersame Veränderung der Unterwelt im englischen Gartenstil berichten:

Die Charge ist hier unten neu:
Denn ehemals war Elysium dadrüben,
Die rauhen Wohnungen dahüben,
Man ließ es eben so dabei.

Nun aber kam ein Lord herunter,
Der fand die Hölle gar nicht munter,
Und eine Lady fand Elysium zu schön.
Man sprach so lang, bis daß der seltne Gusto siegte
Und Pluto selbst den hohen Einfall kriegte,
Sein altes Reich als einen Park zu sehen.

Das Gedicht schildert weiter, wie nun die Hölle zur Parklandschaft umgestaltet wird. Und zwar geschieht dies auf Kosten Elysiums, dessen Erdreich dafür verschwendet wird und in dessen Hainen die schönsten Bäume ausgegraben werden, um die Hölle zu verschönern. Sogar die Hütte des Zerberus, des Höllenhunds, wird in eine Kapelle verwandelt:

Denn, notabene! in einem Park
Muß alles ideal sein,
Und salva venia jeden Quark
Wickeln wir in eine schöne Schal‘ ein,
So verstecken wir zum Exempel
Einen Schweinestall hinter einem Tempel;
Und wieder ein Stall, versteht mich schon,
Wird geradewegs ein Pantheon.

Den Schluß des Gedichts bildet eine umfassende Aufzählung all jener nostalgisch-exotischen Versatzstücke, welche die Empfindsamkeit anregen sollen:

Wir haben Tiefen und Höhn,
Eine Musterkarte von allem Gesträuche,
Krumme Gänge, Wasserfälle und Teiche,
Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felsen und Klüfte,
Eine Menge Reseda und andres Gedüfte,
Weimutsfichten, babylonische Weiden, Ruinen,
Einsiedler in Löchern, Schäfer im Grünen,
Moscheen und Türme mit Kabinetten,
Von Moos sehr unbequeme Betten,
Obelisken, Labyrinthe, Triumphbogen, Arkaden,
Fischerhütten, Pavillons zum Baden,
Chinesisch-gotische Grotten, Kiosken, Tings,
Maurische Tempel und Monumente,
Gräber, ob wir gleich niemand begraben,
Man muß es alles zum Ganzen haben.

Aus Goethes "Triumph der Empfindsamkeit" spricht das Unbehagen an der zunehmenden Verdinglichung der geistigen Werte: Der Fürst der Unterwelt, vom Zeitgeist angesteckt, läßt das Elysium plündern, um seine Hölle in einen Park zu verwandeln. Das Elysium steht für die geistigen Werte und abstrakten Vorstellungen. Die Hölle ist dagegen die Welt des Dinglich-Stofflichen. Pluto nimmt keine Rücksicht darauf, daß die geistigen Werte durch Verpflanzung in die rauhe Welt des Stofflichen verkümmern müssen (Unsre elysischen Bäume / Schwinden wie Träume, / Wenn man sie verpflanzen will heißt es an einer Stelle des Gedichts). Es kommt ihm allein auf den schönen Schein an, auch wenn sich hinter einem Tempel nur ein Schweinestall versteckt und hinter einer Kapelle die Hütte des Zerberus.

Dasselbe Unbehagen spricht aus Hegels Kritik an der englischen Gartenmode. 2 Der Philosoph und Ästhetiker konstatierte ein Übergewicht des Malerischen:

Ein großer Park dagegen, besonders wenn er mit chinesischen Tempelchen, türkischen Moscheen, Schweizerhäusern, Brücken, Einsiedeleien und wer weiß mit was für anderen Fremdartigkeiten ausstaffiert ist, macht für sich selber schon einen Anspruch auf Betrachtung; er sollfür sich selbst etwas sein und bedeuten. Doch dieser Reiz, der sogleich befriedigt ist, verschwindet bald, und man kann dergleichen nicht zweimal ansehen; denn diese Zutat bietet dem Anblick nichts Unendliches, keine in sich seiende Seele dar und ist außerdem für die Unterhaltung, das Gespräch beim Umhergehen nur langweilig und lästig.

In einem wirklich anregenden Park muß nach Hegels Ansicht das Malerische der Landschaft immer durch das Architektonische ergänzt und gezügelt werden. Diese Ergänzung mit verständigen Linien, mit Ordnung, Regelmäßigkeit, Symmetrie sei in der französischen Gartenkunst besser gelungen.

Hegel hielt auch nichts von der scheinbaren Ungezwungenheit des neuen Stils. Er durchschaute diese Berufung auf das Natürliche als eine neue Art des Zwangs:

In solch einem Park, besonders in neuerer Zeit, soll nun einerseits alles die Freiheit der Natur selber beibehalten, während es doch andererseits künstlich bearbeitet und gemacht und von einer vorhandenen Gegend bedingt ist, wodurch ein Zwiespalt hereinkommt, der keine vollständige Lösung findet. Es gibt in dieser Rücksicht zum größten Teil nichts Abgeschmackteres als solche überall sichtbare Absichtlichkeit des Absichtslosen, solchen Zwang des Ungezwungenen.